RUB Pressemeldung, Nr. 83 (2000):

Vom Einfluss der Meinungsumfragen. RUB-Forscher erhält Bennigsen-Förderpreis

Bochum, 30.03.2000
Nr. 82

Vom Einfluss der Meinungsumfragen auf die Politik
Demoskopie - eine umstrittene politische Methode
RUB-Forscher erhält Bennigsen-Förderpreis

Ebenso wie die Marktforschung das Kundenverhalten gegenüber
Konsumgütern beobachtet, untersuchen Meinungsumfragen den
politischen Massenmarkt - und sie wirken auf die Arbeit der
Politiker zurück. In seinem Projekt "Meinungsumfragen in der
Konkurrenzdemokratie: Der Aufstieg der Umfrageforschung und
seine Auswirkungen auf die Parteien und den politischen
Massenmarkt 1949-1990" will Dr. Benjamin Ziemann (Institut
für Soziale Bewegungen, Leiter: Prof. Klaus Tenfelde) diese
umstrittenen Auswirkungen auf die Arbeit der beiden großen
Volksparteien SPD und CDU empirisch überprüfen. Für sein
Forschungsvorhaben erhält er heute (30.03.2000, 15 Uhr) auf
einer Feierstunde in Dortmund von Staatssekretär Wolfgang
Lieb (NRW-Wissenschaftsministerium) einen von zehn je mit
100.000 DM dotierten Bennigsen-Förderpreise.

Legitimierung oder Entleerung der Demokratie

Seit 1949 hat die zunehmend flächendeckende und regelmäßige
Erhebung von demoskopischen Umfragedaten zu
Wählerpräferenzen und den verschiedenen Politikfeldern und
-themen den politischen Betrieb permanent begleitet. Auf
lange Sicht hat sie die Bedingungen, unter denen die
Parteien Wahlkämpfe führen, Ziele formulieren und als
Regierungs- oder Oppositionsparteien handeln, massiv
verändert. Diese Auswirkungen auf den inneren Zustand des
demokratischen Systems sind von Anfang an in der
publizistischen und politikwissenschaftlichen Diskussion
umstritten gewesen: In einer optimistischen Lesart sind sie
unverzichtbares Instrument zur Selbstbeobachtung des
politischen Betriebs, das bei professioneller Anwendung die
Offenheit und Legitimität der Demokratie steigert.
Skeptische Beobachter befürchten allerdings die Entwicklung
einer kurzlebigen "Stimmungsdemokratie", die inhaltliche
Entleerung der politischen Diskussion und einen
"Strukturwandel der Öffentlichkeit", der die Partizipation
auf eine symbolische Teilhabe verkürzt.

"Verwissenschaftlichung des Sozialen"

Das Projekt will diese widersprüchlichen Zuschreibungen
überprüfen: Anhand der SPD und der CDU als die beiden großen
Volksparteien, die die politische Willensbildung in
Deutschland während des gesamten Untersuchungszeitraums
stark beeinflusst haben, will Dr. Benjamin Ziemann die
Auswirkungen der Umfragen untersuchen. Dazu betrachtet er
die praktische Verwendung von Umfragen bei der täglichen
Arbeit der Bundestagsfraktionen und Parteizentralen, der
Außendarstellung und der Wahlkampfführung der beiden
Parteien. An diesem exemplarischen Fall untersucht das
Projekt somit Strukturprobleme der modernen Demokratie, die
sich aus dem Aufstieg der anwendungsorientierten
Sozialwissenschaften im Zuge der "Verwissenschaftlichung des
Sozialen" nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt haben.

Weitere Informationen

Dr. Benjamin Ziemann, Ruhr-Universität Bochum, Institut für
soziale Bewegungen, Clemensstr. 17-19, 44789 Bochum, Tel.
0234/32-27699, Fax: 0234/32-14-249


zit. nach:
http://www.pm.ruhr-uni-bochum.de/pm2000/msg00083.html