WAZ, 18.03.2005, Aus dem Ruhrgebiet

Häftlinge mussten schuften für den Krieg

Bochumer Historiker beschreiben den Einsatz
von Zwangsarbeitern im Kohlenbergbau

Von Christopher Onkelbach
WAZ Bochum. Schwarz wie Kohle sind einige
Kapitel der deutschen Bergbaugeschichte.
Zigtausende Zwangsarbeiter schufteten unter
Tage, viele ließen dabei ihr Leben. Licht
in diese dunkle Epoche bringt jetzt eine
umfassende historische Dokumentation.

Unter dem Titel "Zwangsarbeit im Bergwerk"
beleuchten Bochumer Historiker die Strukturen
des Arbeitseinsatzes im Kohlenbergbau an
der Ruhr sowie - erstmals - in den besetzten
Gebieten. Ein zweiter Band versammelt historische
Quellen und Dokumente - eine Fundgrube
auch für Lehrer, wie Mitherausgeber Prof.
Klaus Tenfelde hofft.

Da findet man zum Beispiel akribische
Protokolle von Lager-Inspektionen 1942:
"Grube Concordia in Oberhausen: Unterbringung
fehlt. Schlechte Beleuchtung, stickige
Luft, Schmutz, keinerlei Verständnis für
Ostarbeiterfrage. Prügel sogar seitens
des Sanitäters bei Kranken." Oder: "Bochumer
Verein in Bochum: Arbeiter furchtbar heruntergekommen,
Lager vernachlässigt, Essen unzureichend,
Prügel." Und so weiter auf 1000 Seiten.

Kriegsgefangene, deportierte Zivilisten
aus besetzten Gebieten und KZ-Häftlinge
- es waren die Zwangsarbeiter, die in den
Bergwerken dafür sorgten, dass die deutsche
Kriegswirtschaft auf vollen Touren produzieren
und arbeiten konnte. Diese Menschen sorgten
dafür, dass es beinahe bis zum Ende des
Krieges keinen Kohle-Engpass in Deutschland
gab, erklärt der zweite Herausgeber, Hans-Christoph
Seidel, bei der Präsentation des Werkes
im Bochumer Haus der Geschichte.

Seit 1942 stieg die Zahl der eingesetzten
Zwangsarbeiter stetig an. Ende des Jahres
schufteten über 100 000 verschleppte Menschen
aus der Sowjetunion im deutschen Steinkohlebergbau,
Ende 1943 waren es mehr als 220 000. Im
Sommer 1944 erreichte der Anteil der Zwangsarbeiter
an der Belegschaft etwa 40 Prozent, so
die Untersuchung. Viele Gefangene überlebten
die harte Fron nicht. Tenfelde: "Von insgesamt
rund fünf Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen
starben etwa 3,5 Millionen."

Die RAG gab den Anstoß zu dieser umfassenden
Aufarbeitung deutscher Bergbaugeschichte,
und sie finanzierte sie in weiten Teilen.
RAG-Vorstandsvorsitzender Werner Müller
würdigte die Arbeit und sagte: "Wir sollten
Lehren daraus ziehen und uns jederzeit
für den demokratischen Rechtsstaat einsetzen."

Wie wichtig es ist, diese fast vergessene
Seite deutscher Industriegeschichte zu
dokumentieren, zeigt eine Episode, die
Tanja Penter bei ihren Recherchen über
den Bergbau im Donezk-Becken erlebte. Ein
Deutscher hatte das Bergwerk geleitet.
Er versicherte der Historikerin: In meinem
Zwangsarbeiterlager gab es keinen einzigen
Toten. Tanja Penter: "Wir wussten aber,
dass dort Unzählige gestorben sind." Der
Mann hatte das offenbar komplett verdrängt.
"Er war erschüttert, als wir ihm die Dokumente
zeigten."

Klaus Tenfelde und Hans-Christoph Seidel
(Hrsg): Zwangsarbeit im Bergwerk, Klartext
Verlag, 2 Bände, ISBN 3-89861-389-5 und
3-89861-390-9, 79,90 Euro.


zit. nach:
http://www.waz.de/waz/waz.archiv.frameset.php