FAZ, 28.11.2005

Alles selber machen

Jürgen Kocka erhält den Bochumer Historikerpreis


Von Andreas Rossmann

Als der Bochumer Historikerpreis 2002 zum ersten mal verliehen wurde, hatte sich zu seiner festlichen Übergabeauch der damals frischgebackene Ministerpräsident Peer Steinbrück angekündigt, doch dann - nein, nicht seine neue Wissenschaftsministerin, sondern "nur" einen Staatssekretär in Vertretung geschickt (FAZ vom 18.11.2002). Drei Jahre später, in Düsseldorf wie in Berlin stellt inzwischen die CDU den Regierungschef, muss sich die Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets nicht mehr damit abfinden, links liegen gelassen zu werden: Zur zweiten Vergabe der mit 25.000 Euro dotierten und für "herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte" ausgelobten Auszeichnung , die Jürgen Kocka zuerkannt wurde, machte Bundestagspräsident Norbert Lammert, der in Bochum zu Hause ist, seine Aufwartung, und die Landesregierung bot mit Andreas Pnkwart ihren Innovationsminister auf. Die "rote", wesentlich aus Gewerkschaftsbeständen erwachsene Einrichtung erfreut sich unter Nichtgenossen offenbar der höheren Wertschätzung, und das - Nota bene - sogar außerhalb des Wahlkampfs.

Was wissenschaftspolitisch daraus folgt, steht wohl auf einem ganz anderen Blatt. Der FDP-Politiker Pinkwart jedenfalls nutzte seinen Auftritt im Haus der Geschichte des Ruhrgebiets vor allem dafür, einmal mehr und in den bekannten parteiprogrammatischen Schlagworten "unser Ziel" einer "unternehmerischen Hochschule" an die Wand des Lesesaals zu malen, die "public-private-partnerships" eingeht und mit Erfindungen und Patenten "möglichst effizient" Verwertungschancen nutzt. Dem Ort und seiner Eigenheit wurde dabei nicht weiter Rechnung getragen, vielmehr einfach so getan, als könne ein sozialhistorisches Institut dabei genauso marktbewusst und merkantil operieren wie eines der Pharmazie oder Elektrotechnik. Dem Verfahren einer umfassenden Deregulierung, nach der - so Pinkwart - "der Ruf der Bürger immer lauter werde", wird dabei ungeachtet der Inhalte Priorität eingeräumt und die Gesamtheit der Geisteswissenschaften, unter dem Anschein der Gleichbehandlung, der Marginalisierung ausgeliefert.

Wie diese sich dagegen verwahren oder behaupten kann, ist auch eine Frage der Selbstdarstellung und mithin der Sprache. Der Frankfurter Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe, dem die Laudatio aufgegeben war, hielt sich aber so beflissen und buchhalterisch an die Daten von Biographie und Bibliographie, Campus und Karriere, als ging es darum, für das Munzinger-Archiv eine erweiterte Fassung zu erstellen: Die wissenschaftlichen Stationen, die wichtigsten Publikationen, Auseinandersetzungen und Traditionslinien, Herausgeberschaften und Gastprofessuren, Forschungsschwerpunkte und -projekte, Selbstverständnis und öffentliche Rolle - nichts wurde ausgelassen aber auch nichts ausgeführt, und es blieb die Darstellung ohne jede persönliche oder irgendwie originelle Note. So viel es dem Gelehrten zu, selbst für die Ehrung gebührend einzustehen. Dem an der Freien Universität Berlin lehrenden Historiker gelang das mühelos, nutzte er seine "Sozialgeschichte im Zeitalter der Globalisierung" überschriebene Preisrede doch für eine breit angelegte Reflexion über sein Fach, dessen Konjunkturen und Ausrichtungen. Wie dabei gerade der Sozialhistoriker mit der Globalisierung an seine - auch methodischen Grenzen stößt, legte Kocka ausgiebig dar, ehe er hieraus ein beispielreich fundiertes Plädoyer dafür ableitete, sich weder dem Primat des nationalhistorischen Paradigmas zu verschreiben noch auf jenes der Globalgeschichte umzusatteln, sonder beides, innergesellschaftliche und grenzünerschreitende Dynamik, "richtig" zusammenzuführen.

Dieser Ausblick lässt sich auch für den noch jungen Preis in Anspruch nehmen, dem es, nachdem er zweimal, 2002 an Lutz Niethammer und 2005 an Jürgen Kocka, mit dem obligaten NRW-Bonus des (zumindest ehemaligen) "Landeswissenschaftlers" verliehen wurde, Gewicht und Prestige geben dürfte, wenn er 2008 seinerseits Grenzen überschritte.
zit. nach:


Andreas Rossmann: Alles selber machen. Jürgen Kocka erhält den Bochumer Historikerpreis, in: FAZ, 28.11.2005, Nr. 277, S. 36