WAZ, 08.03.2006, Mantel

Pott-Frauen bleiben gern am Herd

INTERNATIONALER FRAUENTAG 2006 "GLEICH GESTELLT - DOPPELT STARK"

08.03.2006 / POLITIK / MANTEL


INTERNATIONALER FRAUENTAG 2006
" GLEICH GESTELLT - DOPPELT STARK"

Weltweit wird heute mit zahlreichen Veranstaltungen
der Internationale Frauentag begangen. Macht
er noch Sinn?
Im Ruhrgebiet, so eine Studie, liegt die
Erwerbstätigenquote der Frauen noch immer
unter dem Bundesdurchschnitt

Pott-Frauen bleiben gern am Herd

Von Britta Heidemann
Bochum. Die Hasen im Stall, Salat und Stachelbeeren
im Garten, Ruß im Zuckertöpfchen. So war
sie damals, die Welt der Frau. Und diese
Welt wirkt nach, so eine Bochumer Historikerin:
" Im Vergleich zum Bundesdurchschnitt haben
Frauen im Ruhrgebiet immer noch erheblich
schlechtere Erwerbschancen."

Yong-Suk Jung lächelt. Ihre Dissertation
ü ber die Sozialgeschichte der Arbeiterfamilien
und die familiären Auswirkungen des Strukturwandels
im Revier ist beinahe fertig. Seit 1997
lebt sie in Bochum, und man muss etwas
weiter ausholen um zu erklären, wie die
Koreanerin ans "Institut für soziale Bewegungen"
geriet und an dies klassische Frauenthema.
Denn zunächst einmal studierte Jung in
Seoul Geschichte, spezialisierte sich auf
europäische Historie und etwas später auf
die deutsche. Schrieb ihre Examensarbeit
ü ber die Arbeiterbewegung und kam her,
dies auszubauen. "Doch ich musste feststellen,
dass es hier ganze Bibliotheken voll zum
Thema gibt."

Am Institut schlug man ihr die sozialgeschichtliche
Alternative vor, die sie zunächst erschreckte:
" Ich hatte ja keine Ahnung vom Leben hier."
Vielleicht aber gerade deshalb der unverstellte
Blick auf eine Region und ihre Vergangenheit.
Auf einen Arbeitsmarkt, der seit dem späten
19. Jahrhundert und bis weit ins 20. hinein
nur (junge) Männer wollte: Bergbau und
Schwerindustrie stellten keine Frauen ein.
Und behinderten die Ansiedlung von anderen
Industrien, die etwa Textilwaren oder Nahrungsmittel
produzierten - und Bedarf an weiblichem
Personal gehabt hätten. Hinzu kam: "Auf
Grund des fehlenden regionalen Bürgertums
waren auch Dienstleistungsberufe nur schwach
vertreten." Die Folgen: Die Frauen blieben
daheim, versorgten (zumeist viele) Kinder,
arbeiteten im Garten. Sparten Geld, indem
sie einmachten, nähten, strickten. Nahmen
als externe Einnahmequelle oft so genannte
Kostgänger auf. Und hielten ihrem Mann,
dem Schichtarbeiter, den Alltag vom Hals.
" Familie ist ein Intimbereich und ein soziales
Gebilde", sagt Jung, "sie wird beeinflusst
von Wirtschaft und Politik. Und sie ist
eine Einheit, die dem Überleben dient,
muss reagieren auf einen Wandel der Gesellschaft."

Der kam, und hieß erst Kohle-, dann Stahlkrise.
Der Dienstleistungssektor gedieh seit den
1970er Jahren, dort fanden immer mehr Frauen
Arbeit. Aber trotzdem: immer weniger als
im Bundesdurchschnitt. Und nun wird es
wohl doch Zeit für Zahlen: 1987 arbeiteten
bundesweit die Hälfte aller Frauen zwischen
15 und 64 Jahren - man sagt, die "Erwerbstätigenquote"
der Frauen betrug damals rund 50 Prozent.
In den Ruhrgebietsstädten aber bewegte
sie sich: zwischen 33 und 42 Prozent.

Zwar haben die Revierfrauen Boden gewonnen
seither, aufgeholt aber nicht. 2004 betrug
die Quote bundesweit 59, im Revier 54 Prozent.
Doch verhältnismäßig viele Frauen hinter
dieser Zahl, so Yong-Suk Jung, arbeiten
nur wenige Wochenstunden: "Die Zunahme
erwerbstätiger Frauen im Ruhrgebiet seit
den 80er Jahren basiert zum größten Teil
auf Teilzeitbeschäftigungen."

Was ihrer Meinung nach damit zu tun habe,
dass die klassische Rollenverteilung im
Denken der Revier-Frauen tief verwurzelt
ist: "Offensichtlich findet hier die geschlechterspezifische
Rollenzuteilung innerhalb der Familie noch
eine breitere Akzeptanz."

Womit wir wieder wären bei: Garten, Hasen
und Zuckertöpfchen. Wenn die auch heute
nicht mehr verrußt sind.


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