Westfälische Rundschau, 15.02.2007

Städte zur Kooperation verpflichten

WR-Serie zum Ausstieg aus der Kohle - Ruhrgebietsforscher Prof. Klaus Tenfelde im Interview

Bochum. Das Ruhrgebiet ohne Zechen und Kohle galt lange als undenkbar. Jetzt aber ist das Aus spätestens 2018 beschlossene Sache. Mit dem Bochumer Prof. Klaus Tenfelde , der über die Geschichte des Ruhrgebiets forscht, sprach Torsten Droop über bewegte Kohle-Jahrzehnte und Perspektiven für die Zukunft.

Mit den politischen Entschlüssen zum Kohleausstieg kochten im Ruhrpott die Emotionen hoch. Zu Recht?
Klaus Tenfelde : Nein, nüchtern betrachtet sicher nicht. In den 50er Jahren war im Ruhrgebiet fast nur Kohle, eine Million Menschen waren unmittelbar im Bergbau beschäftigt. Das war eine gewaltige Zahl. Heute aber ist der Bergbau mit 30 000 Beschäftigten keine bedeutende Branche mehr, und auch der Höhepunkt des Strukturwandels ist längst überschritten.

Dennoch hat das Ruhrgebiet noch immer zu kämpfen. Worin liegen die Gründe?
In den Jahren nach dem Krieg hat es viele Versäumnisse von Politik und Verwaltung gegeben. Keine Stadt im Ruhrgebiet etwa wurde Sitz eines Regierungsbezirks, die Landschaftsverbände gingen an die Provinzen. Oder nehmen sie die fatale Entwicklung bei der neu entstehenden Mittelschicht: Die guten Jobs in den Städten wurden behalten, ihre Inhaber aber siedelten außerhalb im Speckmantel an. Städtischer Baugrund war sehr teuer und die Grundsteuern hoch. Das Mieten wurde privilegiert. Heute sehen wir in vielen Stadtteilen, wer zurückgeblieben ist. Und schon damals gab es viele Arbeitsplätze, bei denen es nur wenig zu verdienen gab.

Aber Schwarzmalen muss man doch auch nicht?
In einigen Bereichen ist es dem Ruhrgebiet sehr gut gelungen, zentrale Funktionen zu übernehmen, etwa im Bildungsbereich. Ich nenne da auch Biomedizin und EDV. Und auf die Hochschullandschaft und die dortige Spitzenforschung können wir stolz sein. Oder der Umzug der ThyssenKrupp-Konzernzentrale von Düsseldorf nach Essen: Das wird für die Stadt gewaltige, positive Folgen haben. Essen dürfte viele seiner Probleme bewältigen. Andererseits: Noch immer liegen gewaltige Flächen aus den Zeiten der Montanindustrie brach. Und ich bin gespannt, ob ein Westpark in Bochum oder das Phoenixsee-Projekt in Dortmund zum erhofften Erfolg führen.

Betrachten wir die Ruhrgebietsstädte und ihr Verhältnis zueinander.
Viel zu lange herrschte das Kirchtumsdenken vor. Bei den Gewerbegebieten machten sich die Kommunen zu lange Konkurrenz. Um als Region zu bestehen, hilft nur ein gemeinsamer, übergeordneter Wille und letztlich eine verpflichtende Kooperation der Städte. Ziel dabei muss ein profilorientiertes Ruhrgebiet sein - etwa beim Nahverkehr oder Planungsrecht. Deshalb ist es auch richtig, dass der Regionalverband Ruhr gestärkt wird. Oder nehmen wir die Kultur: Braucht jede Stadt ein Konzerthaus oder ein Theater? Ich denke, nein.

Ist die Landesregierung da auf dem richtigen Weg?
Bereits die Vorgänger haben ja Strukturreformen etwa in den Verwaltungen angestoßen. Gut, dass das jetzt konsequent fortgesetzt wird. Eine "Ruhrstadt" wird und sollte es aber nie geben. Das wäre ein Moloch, der nur schwer abzugrenzen wäre.

Zurück zur Kohle. Sie geht, das Ruhrgebiet bleibt. Bald soll es neben Rheinland und Westfalen einen Regierungsbezirk Ruhrgebiet geben. Wer sollte den Sitz bekommen: Essen oder Dortmund?
Keiner von beiden. Stattdessen sollten die Verantwortlichen strukturpolitischen Weitblick zeigen und den Sitz ins nördliche Ruhrgebiet legen, nach Herten etwa. Für die Städte, die die verbliebenen Zechen verlieren, brechen harte Zeiten an. Das wäre ein Ausgleich. Die Bergbau-Narben dort werden, anders als anderswo im Ruhrgebiet, erst in 20 bis 30 Jahren nicht mehr zu sehen sein.

Die Kohle selbst wird langfristig Geschichte. Wir sollten sie übrigens schon jetzt pflegen. Warum auch nicht?!


Prof. Dr. Klaus Tenfelde leitet seit 1995 das Institut für soziale Bewegungen (ISB).
Das ISB, ein fächerübergreifendes, interdisziplinäres Zentralinstitut der Ruhr-Universität Bochum, untersucht Geschichte und Gegenwart sozialer Bewegungen - unter besonderer Berücksichtigung der Ruhrgebietsgeschichte.
Klaus Tenfelde ist als junger Mann selbst eingefahren. Von 1956 bis 1961 absolvierte er eine Bergmännische Lehre im Bergwerk Essen-Rossenay. Bis 1962 arbeitete er als Bergknappe.
Vor diesem persönlichen Hintergrund sieht er das besiegelte Aus für den Bergbau mit "einem lachenden und einem weinenden Auge".


zit. nach:
http://include.derwesten.de/archiv/detail.php?query=125&article=1&auftritt=WR