WAZ, 07./08.06.2007, Lokalausgabe Bochum

Die Schattenseite der Stadt

"Dort, wo heute die meisten Ausländer wohnen, leben auch die meisten Kinder, Arbeitslosen und die meistem armen Leute", sagt die Wissenschaft. Sie mahnt die Politik, endlich zu handeln

Von Rolf Potthoff

Bochum. "München leuchtet" - damit schmückt sich Bayerns Metropole allzu gern. Die andere Wahrheit lautet: Nicht alles, worüber sich der weiß-blaue Himmel wölbt, besteht aus Schickeria, Glanz und Aktiendepots. Sogar eine Diva wie München hat ihre Viertel, die der Stadtführer lieber verschweigt. Denn München ist eine deutsche Großstadt, die inzwischen mehr oder weniger ausgeprägt das Schicksal deutscher Großstädte teilt: Dort verfestigen sich Strukturen, die von Armut, Arbeitslosigkeit, Bildungsnotständen bestimmt sind; in denen sich die Chancenlosigkeit von Familien samt ihren Kindern vererbt. Nicht zuletzt im Ruhrgebiet wird man oft darauf stoßen.

Zwar wird die "Neue Armut" zumeist zwischen den Extremen des "Alarmismus" einerseits und der Verharmlosung andererseits diskutiert - nach dem Motto: "Armut ist relativ und Armut bei uns ist nicht mit der in Ländern zu vergleichen, in denen es ums nackte Überleben geht". Dass es sich auch in unseren Breiten jedoch um mehr als nur um eine "gefühlte" Problematik handelt, legte Prof. Klaus Peter Strohmeier von der Ruhr-Uni Bochum dar.

Bei einer Diskussionsveranstaltung des Vereins pro Ruhrgebiet und der Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets machte Strohmeier dies mit einer Datenflut deutlich. Es sind in Zahlen gegossene Schlaglichter städtischer Lebensrealität.

Strohmeier untersuchte in Revierstädten, wie Familien mit ihrem Einkommen auskommen. In Oberhausen äußerte sich jede dritte Familie, "das Geld reiche eigentlich im Wesentlichen nur für Miete und Lebensmittel; an einen Familienurlaub sei gar nicht zu denken. Strohmeier hält diese Quote in einer Wohlstandsgesellschaft für alarmierend. Auf der Gegenseite waren es nur 17 Prozent, die sich "alles leisten können". Im Ruhrgebiet - in ähnlicher Weise auch in anderen Großstädten - herrschen Einkommens- und Vermögensverteilungen des Musters: Dreiviertel der Armen sind Einwanderer; neun Zehntel der Reichen deutsch. Erst schleichend, mittlerweile aber stärker beachtet, habe sich in jüngerer Vergangenheit ein Wandel in den Städten vollzogen: "War Armut zuvor alt und weiblich, so besteht heute die Mehrheit der Armen aus Kindern unter 15 Jahren"; also Kinder, die im Sozialhilfemilieu leben.

Und da wären zudem auch die "demografischen Komponenten", nach denen im Jahr 2010 etwa 50 Prozent der unter 40-jährigen Stadtbewohner einen Migrationshintergrund haben. Oder der Punkt "Armut an Kindern", wonach etwa in Essen derzeit nur noch in 16 Prozent der Haushalte Kinder unter 18 Jahren leben. In Dortmund gibt es mit 18% eine ähnliche Situation.

Mit Sorge beobachten Forscher, dass die räumliche Konzentration von Armen in den Städten weiter zunimmt; auch die Konzentration türkisch-stämmiger Bürger setze sich fort. Strohmeier fasst dies in einer Formel zusammen: "Dort, wo in den Städten heute die meisten Ausländer leben, leben auch die meisten Kinder und die meisten armen Leute."

Gerade in dieser Bündelung sehen Strohmeier und Prof. Wolfgang Hinte (Uni Duisburg-Essen) die eigentliche Brisanz. Sie beklagen, dass die Problematik lange bekannt ist, die Politik jedoch nicht in der Lage war, sie zu beheben. Ein möglicher Grund: Zu oft würden nur Einzelaspekte herausgegriffen, wie etwa Integrationsprobleme, Armut an Kindern oder die Arbeitslosigkeit. Was fehle, sei die Einsicht, dass der Lage in Problemvierteln nur mit Gesamtkonzepten zu begegnen sei.

Doch manche Städte sind offenbar nicht einmal im Stande zu erkennen, was da in ihren Stadtteilen läuft. Städten fehlten schlicht und einfach die Daten, weil sie es sträflich versäumten, diese zu sammeln: "Und die letzte Volkszählung ist sehr lange her." Lebendige Stadtteile wünschen sich die Kommunen; zu oft bündeln sich dort jedoch soziale Probleme. Foto: WAZ, Jakob Studnar


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