WAZ, 17.10.2008

Von der List des Klüngelskerls

Von Werner Streletz

„Schwarze Diamanten" hießen Gedichtbände, die den lyrischen Ertrag aus dem Ruhrgebiet versammelten. In Reportagen wurde als typisch vermeldet, dass hier der Rauch die Städte verbindet. Stahl und Kohle, der Mann am Hochofen oder unter Tage: Das sind zunächst die Themen sowohl in den Feuilletons als auch in Texten mit literarischem Anspruch, die spätestens seit den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts davon kündeten, was das Revier, das Land der 1000 Feuer, prägte.

Der Germanist Dirk Hallenberger befasst sich seit 20 Jahren mit dem Ruhrgebiet im Spiegel von Journalismus und Literatur. Zwei Bücher sind erschienen, die einen sorgfältig edierten Rückblick erlauben: Aus beiden las der ruhig-sympathische Mann in der Bibliothek des Ruhrgebiets; die einzelnen Texte natürlich mit Anekdoten und Daten anreichernd.

Wer wusste das schon? In der Weimarer Republik entwickelte sich ein wahrer Reportageboom. Nach dem „O Mensch"-Pathos des Expressionismus war die Neue Sachlichkeit angesagt: Und Reportagen eigneten sich - so Hallenberger - „ideal dafür, um Wirklichkeit einzufangen". Möglichst authentisch.

Das Ruhrgebiet schien für die Welt da draußen noch ein fremder Landstrich zu sein. Also eilten die Berichterstatter von Ernest Hemingway über den sprichwörtlichen „rasenden Reporter" Egon Erwin Kisch bis zu - Aufgemerkt! - Joseph Roth an die Ruhr, um die Lebensweise auf dem „noch unbekannter Erdteil" (Erik Reger) zu erkunden. Roth notierte die Impressionen während einer Straßenbahnfahrt durchs Revier, und Kisch blickte vom Hochofen des Bochumer Vereins. Der Run der Reporter auf den Ruhrpott entwickelte sich so aufdringlich, dass es manchem - so ausdauernd beäugt- schon wieder zu viel wurde.

Also schnell näher 'ran an die Gegenwart. Zeitgenossen im nun schon heftig strukturgewandelten Ruhrgebiet sind Wolfgang Welt, dessen Reportage „Herbert Grönemeyer lebt hier nicht mehr" natürlich auf der Wilhelmshöhe angesiedelt ist, Markus Günther schreibt über „Mutter Nordick an der Bude".

Literarisch wurde Dirk Hallenberger natürlich nicht weniger fündig: So schrieb Paul Zech 1910 eine anrührende Geschichte über Jüppchen und sein weißes Grubenpferd. Und so nebenbei lernte der Zuhörer, dass aus jedem „Josef" im Revier früher oder später ein „Jupp" wird. Auch Richard Huelsenbeck, der in Bochum aufgewachsen ist und den die Literaturgeschichte eher als Dadaisten kennt, ist in der Anthologie vertreten. Ebenso wie - wiederum eine Überraschung - Anna Seghers. Von den jüngeren Autoren erzählen Ralph Rothmann und der kürzlich verstorbene Gelsenkirchener Autor Michael Klaus ihre Sicht aufs Revier.

Und auch, was der Klüngelskerl seinerzeit mit seinem eigenwilligen Flötengedudel bezweckt hat, verriet Dirk Hallenberger: Wenn der Lumpensammler eine harmonische Melodie gespielt hätte, wäre das offiziell als öffentliches Musizieren deklariert worden. Und wäre damit genehmigungspflichtig gewesen.


zit. nach:
http://include.derwesten.de/archiv/detail.php?query=328687&article=1&auftritt=WAZ