Alte Linke, Neue Linke. Gewerkschaften und soziale Bewegungen im Ruhrgebiet (1965-1985)

Ulf Teichmann

Gewerkschaften und (andere) soziale Bewegungen haben in ihrer Geschichte stets Bezug aufeinander genommen, miteinander kooperiert oder miteinander in Konflikt gestanden. Dennoch hat sich die historische und sozialwissenschaftliche Forschung zu Gewerkschaften ebenso wie die Bewegungsforschung bisher wenig mit diesem Feld auseinandergesetzt. Gerade im Zuge der ‚68er-Bewegung‘ und der ‚Neuen sozialen Bewegungen‘ der 1970er und 1980er Jahre hat sich eine ‚Neue Linke‘ in den sozialen Bewegungen etabliert, die sich bewusst von der ‚alten‘ sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Linken abgrenzen wollte. Ziel dieses Dissertationsprojektes ist daher die Untersuchung der Beziehungen von ‚alter‘ und ‚Neuer Linker‘ an der Schnittstelle von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen. Kern der Untersuchung sind dabei regionalgeschichtliche Fallstudien zur Studentenbewegung und der Lehrlingsbewegung der ‚68er Jahre‘ und der ‚Neuen Friedensbewegung‘ der frühen 1980er Jahre im Ruhrgebiet. Hinsichtlich der Gewerkschaften liegt das Augenmerk hauptsächliche, jedoch nicht ausschließlich, auf dem DGB, der IG Metall und der ÖTV.
Von besonderem Interesse ist dabei, wie die DGB-Gewerkschaften als Vertreterinnen einer eher traditionellen, ‚alten‘ Linken auf die Herausforderungen der sogenannten ‚Neuen Linken‘ in den sozialen Bewegungen und den Gewerkschaften selbst reagierten und welche Bedeutung die soziale Gruppe der Arbeitnehmer_innen und deren Organisationen, die Gewerkschaften, für die sozialen Bewegungen spielten. Inspiriert von Theorien der sozialwissenschaftlichen Bewegungsforschung (insbesondere dem ‚Framing-Ansatz‘) fokussiert das Projekt dabei auf die Problem- und Lösungsdeutungen der Akteure und die damit verbundene Protestpraxis.
Durch die Auswahl der Fallstudien soll auch untersucht werden, welche Folgen die tiefgreifenden Veränderungen „nach dem Boom“ seit den frühen 1970er Jahren auf gesellschaftliche Analysen der politischen ‚Linken‘ im weiteren Sinne hatten und inwiefern sich diese auf die politische Praxis des linken Feldes hinsichtlich Protesthandelns und der Interaktion verschiedener sozialer Gruppen und politischer Akteure auswirkten. Die regionale Verortung der Fallstudien im Ruhrgebiet dient dabei dazu, die idealtypische Abgrenzung einer an der an Bedeutung und sozialer Kohäsion verlierenden Arbeiterschaft orientierten ‚materialistischen alten Linken‘ und einer aus der aufstrebenden vom Dienstleistungssektor geprägten Mittelschicht bestehenden ‚postmaterialistischen Neuen Linken‘ kritisch zu hinterfragen. In diesem Sinne versucht das Projekt die ideengeschichtlichen Grundlagen des linken Feldes zwischen den 1960er und 1980er Jahren, deren Niederschlag und Vermittlung in Organisationen, Gruppen und Bewegungen und linker Protest- und Bündnispraxis an den ausgewählten Fallbeispielen zusammenzudenken.
Quellengrundlage sind Veröffentlichungen der ausgewählten sozialen Bewegungen (Flugblätter, Broschüren, Zeitschriften etc.) sowie der Gewerkschaften (insbesondere die Gewerkschaftspresse) und lokale und regionale Überlieferungen von IG Metall, ÖTV und DGB, ergänzt um die Berichterstattung der Lokalpresse und lebensgeschichtliche Interviews.